Wer heutzutage noch analog fotografiert, hat einen wichtigen Schritt verpasst
Stefan Kohler, 2019
Einleitung
In diesem Artikel möchte ich eine sehr persönliche Anekdote mit euch teilen. Es geht um meine eigene Geschichte und die Fotografie. Ich denke das ist ein guter Start für den neuen Blog. Viel Spaß beim Lesen.
Keinen Bock mehr
Ich fotografiere ja schon ganz schön lange, schon als Jugendlicher hatte ich eine erste Leih-Kamera. Meine erste wirklich eigene Kamera war eine Canon EOS 300 und ich kann mich gut erinnern als später die ersten Digitalkameras auf den Markt kamen…
So richtig ernst wurde die Fotografie erst mit „Kamerakind“, als ich mit zwei Freunden zusammen anfing Menschen zu fotografieren, konzeptionelles auszudenken und umzusetzen und später in die technisch anspruchsvolle Texturenfotografie einstieg. Aber irgendwann hat sich alles nur noch wiederholt und ich hatte das Gefühl, ich drehe mich im Kreis. Mir kam es so vor, als würde ich nichts Neues mehr schaffen und so verlor ich den Spaß an der Fotografie.
Das hat sich angefühlt, als hätte ich ein Spiel durchgespielt und würde immer wieder die gleiche Story zocken. Ich war sehr dankbar, die Kamera abzugeben, mich um Konzept und Licht und Retusche zu kümmern und zu den Models zu sagen: „Ich fotografiere nicht so gerne“. Das Fotografieren hat Eddy übernommen, wofür ich ihm sehr dankbar bin.
Barcamp 2021
In den Vorgesprächen zum jährlichen Barcamp haben Eddy (mein langjähriger Mitarbeiter und guter Freund) und Paul (mein hochgeschätzter Lieblings-Fein-Art Druck-Zauberer) beschlossen, das Hauptthema auf „analoge Fotografie“ zu setzen. Na gut, soll mir recht sein. Also wurden alte Dachbodenfunde entstaubt, Flohmärkte gewälzt, Deko-Kameras aus Regalen entliehen und nicht zuletzt hat Paul das alles mit ein paar weiteren Schätzen sowie einer großen Kiste voll Chemie ergänzt. Ich empfand das Treiben rund um die antiquierten Kameras sehr amüsant und fand mich irgendwann selbst mit einer dieser analogen 35mm-Kameras auf einem Spaziergang, mit der Aufgabe 36 Fotos zu knipsen.
Die nächsten Tage und Wochen habe ich gemerkt, dass diese Wanderung irgendwas mit mir gemacht hat. Ich kann nicht genau sagen was es war, aber irgendwas daran fand ich sehr spannend. Man sieht nicht was man tut und erst später oder viel später weiß man, was alles falsch gelaufen ist. Das fand ich eigentlich ganz gut.
Paul hat sehr, sehr viel erzählt über die Fotografie, über die chemischen Prozesse, über verschiedene Bauformen und Eigenheiten und hat versucht – mehr oder weniger vergeblich – die Faszination analoge Fotografie an den Mann – in dem Fall mich – zu bringen.
Gesucht und gefunden
Da ich nun prinzipiell offen für das Thema war, habe ich mich auf die Suche begeben, nach einer für mich passenden Kamera und musste erkennen, dass ich nicht der einzige bin, der nach einer gut erhaltenen analogen Mittelformat-Kamera sucht.
Aber ich wurde fündig. Ein Fotograf aus Norddeutschland versuchte über Kleinanzeigen einen Koffer mit einer Mamiya RB67 zu verkaufen und bescherte mir das wohl schönste und unglaublichste Kauferlebnis ever:
Ich bot an, einen Vorschuss zu schicken, weil ich die Kamera auf jeden Fall vor dem Kauf in der Hand halten wollte, aber er lehnte den Vorschlag ab. Stattdessen fand ich drei Tage später den Koffer in der Post mit dem Vermerk, ich möge die Kamera ausgiebig testen und bei Gefallen das Geld schicken oder eben den Koffer wieder zurückschicken. Und so kam ich zu meinem neuen Baby.
Die Mamiya RB67 Pro-S wurde von 1974-1990 gebaut, das vorliegende Modell stammt wohl von 1980. Mit dabei ein 250 mm, 127 mm, 90 mm und ein leicht radioaktives 50 mm Objektiv. Die Kamera hat ihren Namen von dem rotierenden Rückteil, mit dem sich nicht nur 6 × 7 sondern auch 7 × 6 Aufnahmen machen lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bilder ohnehin fast quadratisch sind, finde ich das sehr sehr witzig.
Mit im Koffer fanden sich auch einige Filter (so zum Beispiel ein Siebzigerjahre Porno-Stern-Filter, eine Frostscheibe für noch unschärfere Aufnahmen und anderes), sowie ein Polaroid-Rückteil, für das ich leider keine Filme mehr bekam. Außerdem ein Sportsucher (eigentlich eine Art Kimmel und Korn, um die Kamera grob in die richtige Richtung zu deuten) und ein praktischer Seitenhaltegriff für das Drei-Kilo-Monster.
Ich behielt den Koffer.
Erste Versuche
Was nun folgte, war eine aufregende Reise durch verschiedene Filme, Entwicklungsprozesse, Fehlbelichtungen viele Gespräche mit Paul und einer tiefen Zufriedenheit mit meinem neuen Schätzchen.
Mit der Zeit merkte ich, dass dieses „Dinge“ fotografieren mir nicht reicht und ich gerne ein Model vor der Linse hätte. Allerdings sah ich da auch einige Schwierigkeiten beziehungsweise Unsicherheiten auf mich zukommen. So muss ich alle zehn Fotos meinen Film wechseln, was etwas zeitraubend ist. Außerdem hatte ich die Befürchtung, dass ich nicht in der Lage wäre, anständige Fotos zu liefern.
Also buche ich einen Workshop. Mein erster Fotoworkshop. Eines Morgens fuhr ich also nach Augsburg zu Ingo Dumreicher, der einen Available-Light-Workshop anbot und von dem ich wusste, dass er sehr ordentliche Models bucht und auch vom Telefon her einen sehr sehr anständigen Eindruck machte, was er im echten Leben noch getoppt hat. Supertyp der Ingo!
Inmitten einer Runde Fotografen stand ich da nunn, das war ziemlich lustig. Nach kurzer Zeit habe ich den schweren Koffer verflucht, meine Schultern und mein Rücken taten mir weh, aber ich hatte ein Model vor der Linse und hatte einen AHA-Moment.
Es wurde reihum fotografiert. Ich hatte also genug Pause, um meinen Film zu wechseln, mir zu überlegen was ich tun möchte und dann meine zehn Bilder zu machen. Eine Sache aus der Kommunikation mit dem Model habe ich mir beibehalten, selbst wenn ich jetzt digital fotografiere: Ich sage an, was wir tun.
Wir machen jetzt drei Ganzkörperaufnahmen, dann drei Oberkörperaufnahmen inklusive Hände, dann vier Closeups.
Was durch diese Ansage passiert, ist wundervoll! Das Model weiß, dass für die ersten drei Aufnahmen die Fußstellung wichtig ist. In den nächsten drei Aufnahmen ist es egal, wie die Füße und Beine stehen und der Fokus liegt mehr auf den Armen und Händen. In den letzten vier Fotos zählt vor allem Mimik und Blick. Das Model weiß, dass danach eine kleine Pause folgt. Das hilft sich zu fokussieren und macht das Arbeiten wahnsinnig entspannt.
Wieder zu Hause habe ich sofort alle vier Filme entwickelt und war lustigerweise der erste, der fertige Bilder an das Model geschickt hat. Das könnte auch an der mangelnden beziehungsweise fehlenden Retusche liegen. Ich hätte diesen Kurs „Effizienz in der Retusche“ vielleicht doch kaufen sollen 😀
Leider waren die Aufnahmen allesamt unbrauchbar, falsch belichtet, unscharf oder einfach ausdruckslos. Im falschen Moment abgedrückt, nicht richtig vorbereitet und ganz tief in mir drin immer noch dieser Leitsatz „ach, da wird schon was dabei sein“.
Es hat eine Weile gedauert, diesen Leitsatz aus meinem Kopf zu kriegen und mir vor dem drücken des Auslösers Gedanken zu machen, um teuren Ausschuss zu vermeiden.
Zum Thema teuer: so ein Rollfilm kostet zwischen 5 und 25 €, die Film-Chemie ist schwer zu schätzen aber ich denke pro Bild muss man 20-50 Cent rechnen. Wenn man 256 GB Karten gewöhnt ist, ist das wirklich ne Menge.
Selbstgebautes
Wer mich kennt weiß, dass ich meine Füße nicht still halten kann und Dinge verbessern muss. So durfte ein alter Wischroboter dran glauben und seinen Motor und seine Räder für den Bau eines Rotations-Entwicklers spenden, weil ich viel zu faul bin, alle 30 Sekunden eine Plastikdose auf den Kopf zu stellen.
Auch habe ich gelernt, dass ein Sous Vide nicht nur hervorragend geeignet ist, um Gulasch zu machen, oder (rein theoretisch natürlich ) hervorragende Cannabisbutter herzustellen, man kann damit auch prima Film-Chemie auf Temperatur bringen und halten.
Oha, was passiert denn hier?
Als ich 2022 nach Unterfranken zog, hörte ich von einem anstehenden Projekt in einem abzureißenden Gewächshauskomplex. Im Sommer 2023 wollten dort diverse Künstler*innen aus verschiedensten Gewerken zusammen ausstellen. Da ich ein kleines Fable für verfallende Häuser habe und weil ich gerne dort in die Gewächshäuser wollte, bot ich meine Hilfe an.
Anstatt meine 10 km jeden Tag zu laufen, tat ich dies von nun an mit einem Besen in der Hand und wurde zu einer festen Institution beim Aufbau zu „else!“. Ein wundervolles Projekt, das mir sehr viel Spaß gemacht hat.
Irgendwann nahm ich dann mal meine Kamera mit und natürlich waren die Leute dort interessiert, was ich mit meiner Steinzeit-Kamera so fabriziere. Nachdem ich die Bilder geschickt habe, wurde ich gefragt, ob ich nicht ein Teil dieser Ausstellung werden und die Bilder dort aufhängen möchte. Das war erstmal ein sehr befremdlicher Moment für mich, weil ich noch nie eine Ausstellung hatte und mich selbst ja so gar nicht als Künstler sehe. Ich habe mich aber am Ende breitschlagen lassen und doch zugesagt.
Die Ausstellung
Mir wurde eine 60 m lange Wand zugeteilt, diese bestand aus 72 Glasscheiben und auf jede dieser Scheibe passten hervorragend fünf Bilder. So entstand das Konzept immer einen Rollfilm mit je zehn Bildern auf zwei Scheiben zu verteilen. Ich wollte nicht aussortieren und ich wollte alle Bilder, die dort entstehen auch zeigen. Ja, ich weiß, das klingt komisch aber manchmal braucht man ein bisschen Druck.
Und so machte ich mich an die Arbeit und kannte bald jeden Winkel des 30.000 m² großen Areals. Mir war bewusst, dass die subtropischen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit in einem Gewächshaus nicht unbedingt ideale Voraussetzung bieten, um Fotos auszustellen und während einige andere Künstler*innen um ihre Werke bangten, kam mir die Idee, daraus ein Konzept zu machen:
Die Besucher dürfen sich Bilder mitnehmen und sie damit „retten“, müssen allerdings den Bildinhalt in ein bereit gestelltes Buch schreiben – für die Nachwelt. Das war ganz schön witzig, weil es ist kaum möglich ein Bild adäquat zu beschreiben und bei manchen Erklärungen hatte ich wirklich keine Ahnung, um welches Bild es sich handelt.
Etwa die Hälfte meiner Bilder wurde mitgenommen beziehungsweise gerettet und ich feiere das durchaus als großen Erfolg.
Wiederholung
Natürlich blieb nicht aus, dass das Areal irgendwann keine neuen Motive mehr zu bieten hatte. Also wiederholen sich die Motive bei anderem Licht, mit anderen Filmen, in leicht anderen Perspektiven… dennoch: da musste ein neues Konzept her, das alte war ausgelutscht.
Ich begann, bildübergreifend zu arbeiten. Vier Scheiben, also 20 Bilder oder zwei Filme sollten zusammen symmetrische Muster ergeben. Die Herausforderung bestand darin, passende Formen zu finden und fehlerfrei zu fotografieren. Denn das ursprüngliche Konzept (jedes Bild wird ausgestellt) wollte ich nicht verändern.
Vermutlich hat das niemand bemerkt, aber diese Reihe war toll für mich. Für mich ganz allein. Denn zum ersten Mal habe ich mich gefühlt wie jemand der fotografiert. Ich habe mich gefühlt wie jemand, der eine Vision Wirklichkeit werden lässt.
Zum ersten Mal habe ich verstanden, was ein Fotograf eigentlich tut.